Ein Fahrrad mit gepackten Satteltaschen steht vor der Kathedrale von Santiago de Compostela

Mit dem Fahrrad auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela. Oder ein Teilstück in Bayern mit Besuchen in Kirchen: Das ist Fahrradwallfahrt.

Bild: © iStockPhoto / MarioGuti

Radpilgerwege

Mit dem Fahrrad auf dem Jakobsweg

"Es war eine wunderbare Gemeinschaft" - schwärmt Pfarrer Jürgen Nitz vom Pilgern auf dem Münchner Jakobusweg. Seit 15 Jahren entwickelt der Pfarrer ein Netz von Radpilgerwegen quer durch Bayern.

Ob der klassische „Camino“ oder zahlreiche andere Routen quer durch Europa – nicht erst seit „Ich bin dann mal weg“ ist Pilgern eine beliebte Möglichkeit, wandernd seinem eigenen Glauben und seinen eigenen Zielen auf die Spur zu kommen. Doch Pilgern muss nicht nur zu Fuß sein, davon ist Jürgen Nitz überzeugt. Seit 15 Jahren bietet der Kauferinger Pfarrer Radpilgern an und entwickelt mit anderen radelbegeisterten Menschen ein Netz von attraktiven Fahrradpilgerwegen in Bayern.

Dass nicht nur überzeugte Kirchgänger sich von diesem Angebot ansprechen lassen, erlebte Nitz im vergangenen Jahr: Selbst Mitglied des ADFC hatte er dem Verein angeboten, eine „Schnupperpilgertour“ ins Jahresprogramm aufzunehmen. Zusammen mit einer pilgerunerfahrenen Gruppe von Radfahrerinnen und Radfahrern, die sonst selten in der Kirche zu finden sind, wollte er einen der Wege er-fahren, die er zuvor gemeinsam mit seinem Team erschlossen hatte. Die Resonanz hätte er sich nicht träumen lassen. Nitz: „Wir erlebten spirituelle Tiefe, echte Begegnung miteinander, mit uns selbst und mit Gott.“

Segen, Pilgerpass, Muschel und Andachten in Kapellen – all das war  fremd für die raderfahrene Gruppe, die sich nach einer Aussendung in Augsburg St. Jakob auf den (Rad)weg machte. Wollte man Pilger sein oder einfach nur Radfahrer? Tag für Tag gewöhnte sich die Gruppe mehr an den Rhythmus von gemeinsamer Bewegung, Begegnung in Restaurants und Unterkünften, wohltuenden Momenten der Ruhe und täglichen Impulsen. Am dritten Tag zog die Stille ein. Lange Strecken schweigenden Radelns, Gebet und wunderbare Natur. Nitz: “Es ist unglaublich, was an einem Pilgertag auf dem Jakobusweg alles geschehen kann. Freiheit für Gedanken und Emotionen, Gemeinschaft, Lachen, Jubeln, Weinen, Trauern, Empfangen…Es ist möglich auf einem Radpilgerweg tiefe Erfahrungen und Begegnungen zu erleben.“ Am Ende der Tour waren aus Radlern Pilger geworden, begeistert und tief bewegt von dem gemeinsamen Naturerlebnis. Auch die Neuauflage 2019 - Pilgern auf dem Münchner Jakobsweg - war für Jürgen Nitz eine tiefe spirituelle Erfahrung. "Wir sind erfüllt und beglückt", schwärmt der Pfarrer.

Die Belastung für Beine, Gelenke und Rücken ist geringer. Deshalb können sich auch Ältere, chronisch Kranke und Menschen mit Behinderung unterstützt von E Bikes auf den Pilgerweg machen. Zudem ist das Radpilgern kostengünstiger, weil sich die Anzahl der Übernachtungen reduziert.

Die Erfahrung lehrt, dass ausgeschilderte Pilgerwege nicht immer für Radpilger geeignet sind. Darum führen die Radpilgerrouten oft über kleine, verkehrsarme Straßen und Wirtschaftswege, die mancherorts den historischen Pilgerwegen näher sind als der Wanderweg. Gerade die Jakobspilger folgten oft Handelsrouten, die im Laufe der Jahrhunderte zu Straßen ausgebaut wurden. Treffpunkt der Wege sind immer markante Orte, Kirchen und Kapellen oder Herbergen auf den Pilgerwegen. So kommen sich Fußpilger und Radpilger am Abend nah und am Tag nicht in die Quere.

Zu jeder dieser Strecke wurden Karten und GPX-Tracks erstellt, damit man die Routen mit einem Navigationsgerät abfahren kann. Die Nutzung der GPS Technik eröffnet vollkommen neue Möglichkeiten beim Radpilgern. Der Weg ist praktisch digital beschildert und ein aktuelles Handy führt, entsprechend vorbereitet, sicher durch die Natur. Dank einer Spende von 25.000 Euro konnte auch die Beschilderung beginnen, rund 1.170 Kilometer sind inzwischen beschildert. Unterstützung gab es von Kommunen entlang der Strecke und Mitgliedern des Fahrradclubs ADFC.

Übernachtungs- und Verpflegungskosten sind etwa gleich hoch wie zu Fuß. Auch Radpilger bekommen einen Pilgerpass und somit Zugang zu den Pilgerherbergen (wichtig in der Schweiz!). Da Radpilger längere Etappen fahren können, verringern sich die Kosten durch weniger Übernachtungen. Teurer sind jedoch die Anschaffungen für den Weg, angefangen vom Rad bis zur Ausrüstung und der Rücktransfer zum Ausgangspunkt.

Muss ein Radpilger rasen? Muss er oder sie täglich 100 Kilometer und 1.000 Höhenmeter fahren? Wenn das Ankommen wichtig ist, wenn jemand den Jakobsweg „machen“ will, vielleicht. Aber auch auf dem Rad gibt es Stille, Muße und… spirituelle Erfahrungen. So kann auf landschaftlich schönen Strecken beim „Stillen Radeln“ geschwiegen werden. Auf verkehrsfreien Radstrecken radeln Pilger stundenlang nebeneinander her und reden. Wenn die Tagesetappen richtig dosiert sind, ist genug Zeit für stille Momente in Kirchen, spirituelle Impulse und Gebet.

So etwas ist „nicht planbar und nicht machbar“ – da ist sich Nitz ganz sicher. Dennoch sind er und seine beiden Mitstreiter, ADFC-Tourenleiter Reinhard Heckmann und Christian Reuting, Sommer für Sommer damit beschäftigt, die besten Routen für Radpilger zu finden, aufzuzeichnen und zu verarbeiten, um Radfahrerinnen und Radfahrern ein möglichst reibungsloses und schönes Pilgererlebnis zu ermöglichen – und den Fußpilgern nicht zu sehr in die Quere zu kommen. Denn - das haben sie bei ihren eigenen Touren erfahren - die Begegnungen von Radlern und Pilgern verlaufen auf den Jakobswegen nicht immer spannungsfrei. Deswegen planen sie die Routen am Computer, fahren sie ab und entflechten Fuß- und Radwege dort, wo sich die beiden Pilgergruppen behindern würden.

In Zusammenarbeit mit dem ADFC, der Landeskirche und den Jakobusgesellschaften Bayerns sind bereits 2000 km Jakobuswege erkundet, als GPX Tracks aufgezeichnet und bearbeitet und werden mit Unterstützung der Internetplattform „outdooraktive“ kostenlos zur Verfügung gestellt. Alle Touren finden sich auch auf der Plattform Radpilgern mit Sinn und allen Sinnen auf Jakobuswegen. Nitz: "Die Sicherheit und Schönheit der Route trägt wesentlich dazu bei, ob ein Jakobusweg eine Radtour oder ein Radpilgerweg wird."

Jürgen Nitz, Bild: © pivat

Bild: pivat

JÜRGEN NITZ

ist evangelischer Pfarrer der Kirchengemeinde Kaufering, ausgebildeter Pilgerbegleiter der ELKB, ADFC Tourenleiter und Initiator des Radpilgerprojekts „Radpilgerwege er-fahren“.

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Vier erprobte Radpilgerwege

Mittlerweile sind in Bayern und dem schwäbischen Grenzland sieben Radpilgerwege erprobt, darunter der Fränkisch-schwäbische Jakobsweg von Würzburg nach Ulm (7 Etappen), der oberschwäbische Jakobsweg von Ulm nach Konstanz (4 Etappen), der Bayerisch-schwäbische Jakobsweg von Oettingen nach Lindau (7 Etappen) und der Münchner Jakobsweg von München nach Lindau (7 Etappen). Aber auch weitere Touren haben die Radpilger aus Kaufering und Landsberg schon hinter sich. So pilgerten sie 2007 mit dem Rad nach Rom (10 Etappen) und 2017 von Kaufering nach Wittenberg (12 Etappen).

Auch wenn das Pilgerbüro in Santiago laufende, radelnde und leitende Pilgerinnen und Pilger gleichermaßen akzeptiert, so stehen die Radpilger doch im Verdacht, den leichteren Weg zu wählen und nicht richtig zu entschleunigen. Jürgen Nitz weiß, dass dies so nicht stimmt. Für ihn war das Radfahren die Türe in die Welt des Pilgerns. „Es sind andere Pilgerwege als zu Fuß, aber auch diese Wege haben eine große Faszination und Tiefe.“

07.04.2021
ELKB

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