Sanduhr

Ein anderes Verhältnis zu Zeit vermittelt das Klosterleben.

Bild: iStockPhoto / Kuzma

Kloster auf Zeit

Die Entdeckung der Langsamkeit

Viele Communitäten (Ordensgemeinschaften) in Bayern laden Menschen ein, für ein paar Tage oder Wochen mit den Schwestern und Brüdern zu leben – in einem „Kloster auf Zeit“.

„Als ich den Kopf voller beruflicher Entscheidungsfragen hatte, habe ich eine Zeit in Selbitz verbracht. Eine Zeitlang wusste ich zum Beispiel nicht, ob ich nach meinem Studium direkt ins Vikariat gehen oder promovieren sollte. Und da habe ich mir eine Auszeit im Kloster genommen.“ Hanne Lamparter, 28, Theologie-Studentin aus Tübingen, erzählt von ihrer Zeit in der Christusbruderschaft Selbitz, einer evangelischen Communität in Oberfranken.

Lamparter war schon mehrmals in Selbitz, aus ganz unterschiedlichen Motivationen heraus, meist trieb es sie in Lebensphasen dorthin, in denen eine wichtige Entscheidung bevorstand. Lamparter hatte in solchen Phasen schon öfter die Erfahrung gemacht, dass sie durch die Stille im Kloster und den geregelten Tagesablauf mit dem Wechsel aus Arbeiten und Beten einerseits zu einer heilsamen Ruhe fand. Aber dass andererseits auch plötzlich innere Stimmen in ihr laut wurden, „die sonst im Vielerlei des Alltags untergehen“, so Lamparter. „Man stellt sich Fragen, die man sich sonst oft nicht so bewusst stellt.“

Blick in die Klosterseele: Dr. Nicole Grochowina, Schwester in der Christusbruderschaft Selbitz, im Interview mit ELKB-Sprecher Johannes Minkus

Obwohl man so dringend eine Antwort auf sie sucht, wie seinerzeit die frisch gebackene Theologin Lamparter. „Ich habe mich gefragt, welchen Weg ich wirklich aus tiefstem Herzen gehen will“ – den Weg ins Vikariat oder den in die Promotion.

Dass sich die 28-Jährige zu Letzerem entschloss, dafür erfuhr sie in Selbitz lohnenswerte Anregungen: Durch ihre Zeit in der Communität konnte sie sich „neue Räume“ eröffnen, in denen sie ermutigt wurde, sich immer wieder neu auf den Glauben an Gott einzulassen, ihre eigene Antwort auf den Ruf Gottes in der Nachfolge zu finden und ihre Entscheidungen zu treffen – ihre Promotion ist inzwischen in vollem Gange.

In einer Wechselbeziehung aus Beten und Arbeiten leben

Das Konzept zur Anschubhilfe zögerlicher Außenstehender erscheint auf den ersten Blick simpel. „In Selbitz folgt „Kloster auf Zeit“ dem Motto „Ora et Labora“, nach welchem die Klosterschwestern ihren Tag gestalten, erklärt Susanne Schmitt, Schwester in Selbitz: „Wir leben in einer Wechselbeziehung aus Beten und Arbeiten.“

Hieraus ergibt sich ein klarer Ablauf: Um 6.15 Uhr ist das Morgengebet, um 6.45 Uhr gibt es Frühstück und anschließend Zeit, um nachzudenken und in sich zu gehen, also „Zeit zur persönlichen Stille“. Um 8.10 Uhr beginnen die „Kloster auf Zeit“-Teilnehmer zu arbeiten, in der Spülküche, im Servicebereich oder im Garten. Um 11 Uhr unterbrechen sie ihre Arbeit für das zehnminütige „Kreuzgebet“, danach wird weitergearbeitet bis zum Mittagessen um 12 Uhr.

Wer einen bestimmten Zeitraum in einem Kloster mit lebt, dem bietet sich die Gelegenheit, mehrmals am Tag mit den Schwestern an Stundengebeten teilzunehmen. Die Stundengebete haben Namen; zu den Hauptgebeten zählt das morgendliche („Laudes“: lateinisch für „Lob“), das mittägliche (kann zum Beispiel „Mittagshore“ heißen; „hore“ ist das lateinische Wort für das „Stunde“) und das abendliche („Vesper“: kirchliches Abendlob in den frühen Abendstunden). Das letzte Stundengebet eines Tages ist die so genannte Komplet. Der Heilige Benedikt kannte sogar bis zu sieben Stundengebete.

Gottesdienste stehen sonntags auf dem Programm, und auf Wunsch können die „Kloster auf Zeit“-Teilnehmer daran teilnehmen oder nicht. Unabhängig von ihrer Teilnahme feiern die Schwestern die Gottesdienste sowieso.

Ein klassisches „Kloster auf Zeit“-Angebot sind auch Bibelgespräche, in denen sich die „Kloster auf Zeit“-Teilnehmer mit den Schwestern und Brüdern über bestimmte Bibelstellen austauschen können, ihre Gedanken und Gefühle dazu äußern, auch kritische Fragen stellen können und darüber nachdenken, was die Bibelverse für ihre momentane Lebenssituation bedeuten.

Viele Menschen, die ein „Kloster auf Zeit“-Angebot in Anspruch nehmen, befinden sich gerade in einer persönlichen Umbruchphase ihres Lebens, in der es gilt, eine besondere Entscheidung zu treffen oder einen ungelösten inneren Konflikt zu klären. Die seelsorgerische Beratung durch die Klosterschwestern und -brüder ist deshalb immer auch Bestandteil im „Kloster auf Zeit“ und kann auf Wunsch in Anspruch genommen werden. Das Gespräch kann aber auch einfach so gesucht werden: für einen unaufgeregten Austausch als „Impuls für zwischendurch“, um den eigenen Glauben zu vertiefen und Zeit für Gott zu haben.

Manche Häuser bieten den „Kloster auf Zeit“-Teilnehmern zusätzliche Angebote in Form von geistlichen Vorträgen, meditativen Tänzen oder Impulsen, die das spirituelle Erlebnis ergänzend kulturell-religiös vertiefen sollen. Diese Angebote sind manchmal mit zusätzlichen Kosten verbunden, manchmal sind sie aber auch inklusive.

Ab 14.30 Uhr ist Kaffee-Zeit. Danach können die Teilnehmer ihre Zeit so gestalten wie sie wollen, wobei sie einmal wöchentlich an einem „Bibelaustausch“ teilnehmen, sich also mit den Schwestern über Bibelstellen unterhalten können. Um 17 Uhr ist jeder herzlich eingeladen, für sich selbst ein stilles Gebet zu sprechen, um 17.20 Uhr kann man dann am Abendgebet teilnehmen, danach gibt es um 18 Uhr Abendessen. Einmal wöchentlich kann man um 19.45 Uhr noch an der „Komplet“, teilnehmen, dem „letzten Gebet des Tages“, ebenso wie sonntags am Gottesdienst, den die Schwestern feiern.Das Angebot in Selbitz richtet sich an Frauen zwischen 18 und 40 Jahren. Eigentlich untypisch für eine evangelische Communität. Überhaupt Kloster: ist das nicht typisch katholisch? Nicht unbedingt. Evangelische Communitäten in Bayern wie Selbitz richten sich an den drei „evangelischen Räten“ aus, den Tugenden, die Jesus seinen Jüngern empfahl, um „vollkommen“ zu sein: an Armut, Keuschheit und Gehorsam.

Mehr

Weniger

Das Angebot, für ein paar Tage oder Wochen in einem Kloster mit zu leben, ist somit weit mehr als eine gewöhnliche Entspannungskur, die schnell wieder vergessen ist. Es ist ein Eintauchen in eine andere Welt, die ihre Besucher im positiven Sinne verändert – und zwar sowohl Frauen als auch Männer, wie Günter Oelkers beweist.

"Ein ganz eigener Rhythmus, den man so nicht kennt"

Der ehemalige Lehrer aus Langenhagen bei Hannover nutzt regelmäßig die Angebote im Kloster Triefenstein am Main. Abzutauchen hinter die dicken Klostermauern erlebt der pensionierte Pädagoge als „echte Abgrenzung zum Alltag, nicht nur durch die abgeschiedene Lage des Klosters“, das sich im bayerischen Unterfranken westlich von Würzburg am dicht bewaldeten Ufer des Mains befindet.

„Im Kloster herrscht ein ganz eigener Lebensrhythmus, den man so nicht kennt und noch nicht gelebt hat“, sagt Oelkers. Und dieses Tempo sei nicht nur, wie man vielleicht zunächst vermuten würde, durch die täglich zu festgelegten Zeiten stattfindenden Stundengebete zustande gekommen, sondern auch durch die rein praktischen Tätigkeiten, die Oelkers zu verrichten hatte; sie hätten den Tag auch mit einem besonderen Gehalt gefüllt, unterstreicht der heute 64-Jährige.

"Diese einfachen Tätigkeiten haben mich völlig entspannt"

„Ich habe zum Beispiel im Garten Bäume zurückgeschnitten, Wege angelegt oder in der Küche mitgeholfen“, erzählt Oelkers. „Diese einfachen Aufgaben standen in so einem wohltuenden Gegensatz zu meinem damaligen Beruf als Lehrer, in dem ich ja stets in einer geistigen Daueranstrengung war – diese bodenständigen Tätigkeiten haben mich völlig entspannt und die Nähe zu Jesus Christus spüren lassen.“ Eingebettet in die beruhigende Atmosphäre des Klosters habe das Erlebnis, am Ende eines Tages ein Ergebnis seines Schaffens zu sehen, eine ungemein ausgleichende Wirkung auf seine Seele gehabt.

Unter dem leicht abgewandelten Titel „Mitleben auf Zeit“ hat auch die Communität Casteller Ring auf dem Schwanberg in Unterfranken ein „Kloster“-Angebot im Programm. Bis zu neun Frauen können den Tagesrhythmus der Schwestern teilen und an den Gebetszeiten der Communität teilnehmen. Und es gibt Menschen, die dieses Angebot nicht nur für Tage oder Wochen nutzen wollen. Gisela Pilzecker zum Beispiel will gleich ein ganzes Jahr bleiben: „Ich mache eine Art ,Sabbatzeit‘ und bin zurzeit so etwas wie eine ,Klosterspringerin‘ – ich arbeite in allen Bereichen in Schwanberg mit“, erzählt Pilzecker vergnügt.

Eckhard Herrmann

Cover des Buches Eckhard Herrmann: Gott macht Mut

Gott macht Mut

Ein Zwiegespräch mit Gott wirkt sich positiv auf die Seele aus. Wo eigene Worte fehlen, bietet die Zusammenstellung aus Herrmanns eigenen Gebeten und den schönsten Texten aus der christlichen Tradition Hilfestellung.

Bestellinformation:

144 S.
ISBN 978-3-532-62863-8

"Ermutigt in den heimatlichen Alltag zurückgehen"

Der Aufenthalt in der Communität tut ihr merklich gut, „ich genieße jeden Tag“, erzählt die gebürtige Koblenzerin. „Im Kloster herrscht eine märchenhafte Atmosphäre, und der Umgang ist so wunderbar wertschätzend. Ich erlebe keinen Tag, an dem ich nicht über den Hof gehe und sich eine Schwester bei mir für irgendwas bedankt.“

Schon vor ihrem jetzigen Daueraufenthalt hatte Pilzecker immer mal wieder ein Wochenende auf dem Schwanberg verbracht. Und „bei meinen vielen Besuchen bin ich fast allen Menschen wieder begegnet“, schwärmt sie. „Wir betrachten die Zeit als Zeit für Stille, Erholung, Erbauung und Stärkung und gehen ermutigt in den heimatlichen Alltag zurück.“

22.01.2024
Almut Steinecke